Das Wort „Euphemismus“ bedeutet etwas beschönigen oder
schönreden. Es stellt also einen negativen oder tabuisierten Sachverhalt
verschleiernd oder auch gewollt missverständlich dar.
Euphemismen begegnen uns seit jeher in Texten aller Art.
Schon in der Bibel finden wir sie, beispielsweise in der Weihnachtsgeschichte: „Josef
nahm seine Frau zu sich, und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn geboren
hatte, und er nannte seinen Namen Jesus.“ (Matthäus 1, 24+25)
Armer Josef,
könnte man denken. Er muss geistig verwirrt gewesen sein. Demenz?! Er erkannte
seine Frau nicht mehr. Zum Glück scheint sich sein Zustand verbessert zu haben
nach der Niederkunft (auch so ein schönes Wort) seiner Frau. Postnatale
Wiederherstellung des Gedächtnisses beim Mann.
Aber natürlich wissen wir, dass das Wort „erkennen“ in
diesem Text eben nichts mit dem zu tun hat, was es gemeinhin bedeutet. Hier ist
das Wort euphemistisch gebraucht, um nicht schreiben zu müssen, er hatte keinen
Sex mit seiner Frau.
Wenn wir von einem Fussballspieler lesen, er habe ein rustikales
Zweikampfverhalten, so wissen wir, dass er halt auch mal zu einem Foul greift,
um den Gegner vom Ball zu trennen.
Spricht der Arzt von Stuhlgang, weiss wohl jeder, was
gemeint ist. Ist doch auch netter, als wenn einen so ein Weisskittel fragt, ob
man heute schon gesch… habe. Oder er uns mit dem Kindereuphemismus „a-a“ kommt.
Manchmal haben sich Euphemismen so ausgebreitet, dass sie
niemandem mehr auffallen. Dass es wohl in jeder Regierung einen
Verteidigungsminister gibt, versteht sich von selbst. Dass das gleiche Amt in
nicht so ferner Vergangenheit Kriegsminister hiess, haben wir meist schon
vergessen.
Damit verbunden wurde der Kriegsfall zum Verteidigungsfall,
eine Offensive wird auch gerne Militärschlag genannt. Dass sich hinter einer ethnischen
Säuberung ein Völkermord verbergen könnte, wird ganz schnell ausgeblendet. Und
auch Kernwaffen klingen doch etwas harmloser als Atombomben. Und weil auch
das Wort Kernwaffen schon zu viel von seinem verhüllenden Charakter verloren
hat, taucht immer häufiger der neue Euphemismus auf: „Modernste Waffen“.
Apropos Krieg: Als Oliver Stone 1986 den Film „Platoon“ ins
Kino brachte, hat er den Film als „Antikriegsfilm“ bezeichnet. Der Begriff traf
den Nerv der Zeit, von einem Tag auf den anderen wurde die Genrebezeichnung „Antikriegsfilm“
in vielen Programmzeitschriften eingeführt, ganz gleich, ob „Rambo“, „Apocalypse
now“ oder „Der längste Tag“ gezeigt wurde.
Dass einen der Chef von der Arbeit freisetzt sollte kein
Anlass zum Jubel sein, denn dahinter verbirgt sich eine Entlassung. Vielleicht
wird diese Entlassung mit einem Minuswachstum begründet. Man könnte es
natürlich auch einfach Rezession nennen.
Natürlich werden auch Eigenschaften von Menschen in
beschönigende Worte gepackt. Hat einer eine Rubensfigur, so ist er dick, gilt
jemand als bildungsfern, hält man ihn für dumm. Und weil man halt manchmal
nicht von Armen sprechen will, bezeichnet man die entsprechende Gruppe einfach
als wirtschaftlich schwach.
Ein Euphemismus wird manchmal über Nacht geboren. So
beglückte die PR-Beraterin von DJ Trump, Kellyanne Conway, uns am Wochenende mit einer
besonderen Wortschöpfung: „alternative Fakten“.
Endlich sind Fakten nicht mehr
an Wahrheiten gebunden!
Früher musste man für die gleiche Aussage das unschöne
und deshalb zu vermeidende Wort „Lügen“ gebrauchen.
Da ich mit einer Geschichte aus der Bibel begonnen habe
liegt die Versuchung nahe, mal zu schauen, was aus ein paar ausgewählten Versen
passieren könnte, wenn der neu entstandene Euphemismus in einigen Jahren in eine
revidierte Bibelübersetzung Einzug hält:
Psalm 4;3: Wie lange werdet ihr Eitles lieben und alternative
Fakten suchen?
Eph. 4;25: Deshalb legt die alternativen Fakten ab und redet
Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten.